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Esslinger „Zwiebel“ am 25. Mai 2002

WILDEVE: Von der Liebe und anderen Gefühlen

Allerleirau...

Jaja, die alte, verschlafene Reichsstadt Esslingen ist nicht gerade bekannt für ihre Kultur-Highlights. Die "Events" sind hier immer "a bissl" später dran und während man in den frühen Abendstunden eher den Nachtwächter erwartet, passiert im Herzen der Altstadt schon mal was "märchenhaftes". Den Zwieblingern gut bekannt ist natürlich die Zwiebel, ein Altstadtlokal, das bei den "Einheimischen" bereits einen legendären und zwielichtigen Ruf genießt. Die Musik-Box fasst immerhin rund 8000 Songs von Bands aller Coleur. In nächster Zeit werden es wohl 8001 werden. Denn gar merkwürdige Geschehnisse rissen das nicht gerade kulturverwöhnte Kneipenpublikum vom gewohnten "Abenddrunk".
"Jetzt fanga m'r ab'r ah", meint der Kneipenwirt und "warom sen di blos so aufg'regt, hier is doch blos de Zwiebl". Klar, Bands wie Wildeve nehmen jeden Auftritt wichtig. Da gibt's kein: "Na, do spiel'n mer halt moal". Märchenhaft, yep, denn schon der Zauber der ersten Töne verwandelte die "gemütliche" Wirtschaft in eine "Konzerthalle". Der Abendschoppen rückte plötzlich in den Hintergrund: "Joh, hier geht ja was ab!"
Lili P., die Sängerin von Wildeve trägt keine "vielfellige" Kleidung wie "Allerleirau", aber ihr Stimmvolumen reicht vom nachtschattensanften Vortrag bis zur energiegeladenen Hymne und ist so vielseitig wie das Gewand der Märchenfrau. Das spricht an und so verlagert sich das Geschehen in der "progressiven Altstadtkneipe" vom düsteren Hinterzimmer mehr und mehr vor die "provisorische Bühne", wo sonst der Billardtisch seinen Platz hat.
Alex M., meist irgendwie "merkwürdig dreinschauend", vertieft im Spiel mit der Gitarre, entlockt dem Instrument gelassen, wie ein Magier, der ein seltsam, unwirkliches Ritual inszeniert, ins Ohr gehende Melodien. Das Publikum nun endgültig von der Tränke weggerissen, klatscht. "Hoa, d'r hoat's jo druff!!"
Tanja E., mehr als nur die "Backgroundsängerin", trägt ein Solo vor. Extraapplaus. "Jo, di' hen's jo werklich druff!" Da spielt's schon kaum eine Rolle mehr, dass die einschmeichelnden Töne des Keyboard den Vortag harmonisch untermalen. "Hen mr net denkt!"
Bob K., im Hintergrund, und doch trägt sein Bass die Melodie, unterstreicht eindringlich die extravagant, ungewöhnlichen Kompositionen. Vom ungewohnten Bewegungsdrang erfüllt tauchen die ersten Tanzenden vor der Bühne auf. "Des gebt's jo net".
J. P. Stables, an den Drums. Wilde Rhythmen hallen durch die Schänke. Die Kneipe tobt. "Woas goaht denn doa ab?!" Und gar manch Esslinger, gerade schon auf dem Heimweg, schaut dann doch noch "moal kurz rein".
Und drinnen erwartet ihn ein ungewohntes Bild. Die sonst vom blauen Dunst getrübten Räume waren gefüllt von einem weißen Nebel, Lichtstrahlen durchschneiden die Finsternis, bunte Lampen schillern. "Woas'n des?!" Hmm, vom musikalischen Her sicherlich "irgendetwas" zwischen Alternative und Melodie-Rock. Von der Stimmung her, locker, entspannt und mit einem "heiteren" Publikum, das die bekannten Coversongs "Moonlight Shadow" und "What's up" gleich zweimal verlangt und begeistert "mitsingt". "Des goab's no nie!".
Yep, wer im Gasthaus sitzt, sollte nicht mit Perlen werfen. So oder ähnlichen heißt wohl ein Sprichwort, das ganz besonders zutrifft, wenn die geworfenen Gegenständen keine Perlen, sondern Diamanten sind. Aber Im Märchen ist ja bekannter Maßen alles möglich. Allerleirau kannte das Geheimnis vom Salz in der Suppe und Lili P. kennt das Geheimnis, mit dem man eine triste Kaschemme ein Konzerthaus mit bebenden Wänden und Herzen verwandeln kann. Da braucht es dann nicht "die Trompeten von Jericho" um die reichsstädtischen Herzen aufleben zu lassen, sondern ihre ausdruckstarke Stimme vermag auch das letzte "Dornröschen" zu wecken.
Die Songs von Wildeve erzählen von Legenden wie der "unsterblichen Liebe", dem Mann oder der Frau, denen man irgendwann und irgendwo und vielleicht auch nur im Märchen begegnen könnte. Von verloren Herzen oder unvorsichtigen Mädchen. Ok, das "Happy-End" ist da vorprogrammiert, aber manchmal kommt man ob's der Texte doch in's Grübeln. "Worom gengs do?!"
Wem das zuviel des Märchenhaften ist, kann sich ja die Homepage der Band anschauen. Dort findet man alles Rund um die Band Wildeve, kann sich den begehrten Newsletter abonnieren und die Songs anhören, die im Nebel der späten Samstag Nacht versunken sind. Ein Klick lohnt sich allemal.
Sonntag Morgen. Noch klingen die letzten Töne im Ohr und wenn man ganz genau hinhört kann man noch die letzen Schwingungen von Wildeve die Reichsstadt erschüttern hören.
Mehr davon! Jederzeit!
[Thomas Feldmann | (c) Concertnews 26.05.2002]